Westfalen blüht!

03.06.2012

Vivat.Westfalia!

Ja, wir haben es verdient, da wollen wir nicht kniepen, sondern uns endlich zum eigenen Glück gratulieren, dass wir in Westfalen leben. Jawohl, in Westfalen und nicht in Nordrhein. Im Münsterland, in Ostwestfalen, an Ems und Lippe, in der Ebene und im gebirgigen Sauerland. Deshalb ein fröhliches "Vivat.Westfalia!"
Westfalen, das Land der "sentimentalen Eichen"? Das mag lange her sein, Heinrich Heine möge mir verzeihen. Er hat nicht wissen können, dass in Ostwestfalen die schönsten Möbel produziert werden, die besten Waschmaschinen, die angesagtesten Küchen. Westfalen sind erfinderisch, strebsam, intellektuell, leistungsstark und - stur im Verfolgen ihrer Ziele. Ideale Ergänzung dazu die Lipper und die Sauerländer mit kreativem Finanzmanagment. In diesem Teil des Landes wird das Geld verdient, dass die Düsseldorfer Staatskanzlei dann fröhlich mit beiden Händen unters Volk bringt. Hanni & Nanni auf dem Kutscherbock in Düsseldorf lassen sich ihre Rösser, die den staatstragenden Narrenkarren ziehen, von den Münsterländern, den Lippern, den Sauerländern, den Ostwestfalen dick und fett füttern!


Auf dem 6 500 Quadratkilometer großem Gebiet der Region Ostwestfalen-Lippe leben zwei Millionen Menschen. Die größten Städte sind Bielefeld mit knapp 324 000, Paderborn mit etwa 145 000 und Gütersloh mit 96 000 Einwohnern. Gütersloh ist Zentrale des größten Unternehmens der Region, der Bertelsmann Gruppe, die weltweit 103 000 Beschäftigte zählt. Davon 10 000 in Ostwestfalen-Lippe. 
Viele der kleineren Betriebe entwickelten sich im Laufe der Zeit zu "Champions" ihrer Branche, zählen mit ihren Produkten zu den Marktführern. Wie Hörmann aus Steinhagen. Das Familienunternehmen stellt Garagen- und Industrietore her und erwirtschaftete (2010) mit 6 000 Mitarbeitern weltweit einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro.
Mit Miele, Dr. Oetker, Melitta, Wincor-Nixdorf, Landmaschinen Claas haben weitere bekannte Firmen ihren Sitz in der Region. Der Maschinenbau beschäftigt etwa 44 000 Menschen. Neben den Universitäten Bielefeld und Paderborn gibt es elf weitere Hochschulen, darunter die Hochschule für Musik in Detmold oder die Hochschule für Kirchenmusik in Herford.
Die Industrialisierung der Region begann im 19. Jahrhundert mit den traditionell ansässigen Leinewebern. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Ravensberger Spinnerei in Bielefeld eine der größten Flachspinnereien Europas. Heute noch sind hier Textil- oder Bekleidungsfirmen ansässig wie Windsor, Seidensticker, Brax oder Gerry Weber. Das eigentliche Erbe der früheren Textilproduktion ist der Maschinenbau. Mit etwa 300 Betrieben und 40 000 Beschäftigten stellt er heute die größte Branche dar. OWL zählt zu den modernsten Maschinenbauregionen Europas. Diese Entwicklung ist kein Zufall: Die frühen Textilfabriken brauchten immer bessere Maschinen, um im Konkurrenzkampf mit England bestehen zu können. Das zog Konstrukteure und Tüftler aus allen Landesteilen an.
Neben den technischen Branchen zählt die Möbelindustrie wie COR und Interlübke in Rheda-Wiedenbrück zu den Top-Adressen. Bestens aufgestellt sind die Küchenhersteller Nobilia in Verl, der zu den größten Europas zählt. SieMatic, Poggenpohl sind als Luxusmarken weltweit bekannt.




Und das meint Annette...

"Wenn wir von Westfalen reden, so begreifen wir darunter einen großen, sehr verschiedenen Landstrich, verschieden nicht nur den weit auseinander liegenden Stammeswurzeln seiner Bevölkerung nach, sondern in allem, was Physiognomie des Landes bildet oder wesentlich darauf zurückwirkt, in Klima, Naturform, Erwerbsquellen und, als Folge dessen, in Kultur, Sitten, Charakter und selbst Körperbildung seiner Bewohner: daher möchten wohl wenige Teile Deutschlands einer so vielseitigen Beleuchtung bedürfen."


Annette von Droste-Hülshoff, 1842, "Bilder aus Westfalen".                

Vivat.Westfalia! Pedalritter!



Pängelanton, Pedaleure und eine Prinzessin

       Am Himmel führt Petrus Regie. Ganz unverfroren treibt er seinen Schabernack, verwandelt über Nacht ein sonniges Hoch in ein atlantisches Tief mit Schwerpunkt über Island. Grandioses Wolkentheater vor weitem Horizont. Es meimelt, schauerweise. Doch abgemacht ist abgemacht. „Nein, in Münster regnet es nicht, wir kommen!“ Judith freut sich und Philips Stimme duldet keinen Widerspruch. Wir treffen uns am Bahnhof in Rheda. Von hier aus wollen wir per Fahrrad über die „LGS Route“ (Landesgartenschau-Route) in ein abwechslungsreiches Wochenende starten. Versprochen werden Fachwerk-Idylle, ein Schloß, eine Höhenburg, ein Literatur- und ein Biermuseum. Appetit aber holen wir uns zunächst in  Rheda-Wiedenbrück (druckfrisch hat Altstadtführer Paul Breimann in einem kleinen Bändchen auf 90 Seiten alles Wissenswerte über die Altstadt von Wiedenbrück zusammengetragen,  9,90 Euro im Buchhandel), dann geht es weiter nach Rietberg und Oelde.
       Preisfrage vorweg: wie kommt  der Münsteraner am bequemsten aufs Land? Ganz einfach, er packt die Leeze in den „Pängelanton“ und schon geht’s los. Pardon, das war früher. Der Pängelanton ist ganz schön schnell geworden und heißt jetzt NordWestBahn. Kurz nach sieben startet der erste Dieseltriebwagen, „Der Warendorfer“, an Münsters Hauptbahnhof und fährt dann im Stundentakt über Telgte, Raestrup-Everswinkel, Warendorf, Vohren, Beelen, Clarholz, Herzebrock nach Rheda-Wiedenbrück. Immer entlang der Bundesstrasse 64, so flott ist kein Radfahrer, selbst Pkw müssen da schon ganz schön Gas geben, um mithalten zu können. In der NordWestBahn zieht man Fahrkarten an Automaten in den Zügen. Das ist praktisch, denn man kann zunächst in aller Ruhe einsteigen. Überall Platz satt für Fahrräder und Pedalritter. Ja, die blau-gelben Triebwagen bringen Radfahrer flott an den Start zu den schönsten Westfalen-Touren.
          Ein Wochenende mit leichtem Gepäck, in den Packtaschen nur das Nötigste: eine Radwanderkarte von Ostwestfalen, dazu Regenschutz, Zahnbürste und Zaster. Der Rosengarten der „Flora Westfalica“ , nur wenige hundert Meter vom Bahnhof Rheda entfernt, ist ein idealer Ort, um in die schöne Route einzusteigen. Ab hier folgen wir  einfach der gut markierten „Wellness-Route“ durch die „Flora Westfalica“ in Richtung Rietberg, Delbrück, Paderborn. Doch langsam! Zunächst machen wir dem Fürstenhaus Bentheim-Tecklenburg unsere Aufwartung. Schloß Rheda, ein Kleinod im schönen Park,  lockt mit einer Orangerie und einem hübschen Hoftheater. Besucher sollten Rücksicht nehmen, die Hauptburg wird „Privat bewohnt“! Bitte nicht stören! Im fürstlichen Ambiente des traditionsreichen Ortes, residieren Maximilian Erbprinz zu Bentheim-Tecklenburg nebst Gattin Prinzessin Marissa.
       Über das alte Kopfsteinpflaster des Steinwegs rumpeln die Räder bis wir links in Richtung Erlenbruch einbiegen. Eine gute halbe Stunde nur dauert die Fahrt durch das "Flora"-gelände bis in den Ortsteil Wiedenbrück. Auch hier wieder viel schwarz-weißes Fachwerk  mit farbig gefassten Schnitzereien wohin das Auge blickt. Verwinkelt, gemütlich und malerisch.
        Pedalritter Philip aus Münster hängt der Magen durch und er wünscht sich: „So’n chans, chans delikates Pastorenschnittken mit hausgemachtem westfälischen Schinken...!“ Soll er haben, und ganz herzhaft sind wir mit von der Partie, auch uns knurrt der Magen. Der „Ratskeller“ in der 1000jährigen Stadt Wiedenbrück hat alles zu bieten, was den westfälischen Gaumen kitzelt.
     In einer guten Stunde wollen wir in Rietberg sein. Klappt auch, wenn wir etwas flotter in die Pedale treten. Wir bleiben auf der „Wellness-Route“ (oder der „LGS-Route“, die hier identisch sind), folgen der Umflut am Rand der Stadt und  später der träge dahinfließenden Ems. Das Mittagsbier sitzt zwar noch in den Beinen, doch das flache Land lässt die Räder flott rollen. Bis zur Kaffepause. Kurz vor Rietberg, „nur ein Schlückchen Kaffee“ könnte Judith wieder munter machen. Es wird Kaffee und Himmelstorte für alle.
         Rietberg. Auch hier gepflegtes Fachwerk, Tradition und viel  internationale Geschichte. Das Städtchen war Mittelpunkt der gleichnamigen Grafschaft, seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Grafen von Arnsberg. 1699 fiel die Herrschaft an die Familie von Kaunitz, aus der Graf Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711-1794), der berühmte Kanzler der österreichischen Kaiserin Maria Theresia stammt. Vor glanzvoller historischer Kulisse lässt Rietberg im bunten Rahmen der Landesgartenschau üppige Blütenträume wachsen. Bis zum 12. Oktober lädt „Rieti“, der Siebenpunkt-Marienkäfer, alle Gartenfreunde zur grünen NRW-Olympiade ein. Also Fahrrad einparken und zu Fuß durch den Garten Eden. Doch es gibt auch ein Kontrastprogramm: beim Italiener an der Emsbrücke, im Eiscafe "Dolomiti" darf man kühle Eisberge weglöffeln, man kann das Wohnhaus des Rietberger Hofmalers Philip Ferdinand Ludwig Bartscher (1749-1823) an der Müntestrasse oder das neue Rietberger Kunsthaus mit Zeichnungen, Malerei und Skulpturen von Dr. Wilfried Koch besuchen.
      „Rechts ab!“ Am späteren Nachmittag verlassen wir die „Wellness-Route“, folgen jetzt, immer Richtung Westen, der Markierung R2,  über Appelbaumchausseen, Wald- und Wirtschaftswege, an Bokel und Langenberg vorbei, mit Ziel Stromberg. In Langenberg wird die Privatbrauerei Hohenfelde zur Versuchung. 1845 gründete der königlich preußische Amtmann K.H. Lappmann die Brauerei auf dem Gut Hohenfelde. Klaudia probiert „Lappmanns Dunkel“, ein Schwarzbier, Philip und ich zischen ein „Hohenfelder Pilsener“. Doch Vorsicht! Bier geht in die Waden – die Erfahrung haben wir bereits gemacht - und wir wollen ja  noch Stromberg im Kreis Warendorf erreichen. Schaffen wir auch. Kurz vor dem Ziel noch als Herausforderung der Stromberger Knapp, und vom Westen bläst uns bereits der sprichwörtliche „Oelder Wind“ entgegen. Die Aussicht von der Stromberger Höhe entschädigt für alle Anstrengungen. Die sanften Hügel vor uns, die fruchtbaren Felder, die löwenzahngelb gesprenkelten Wiesen heißen hier „Stromberger Schweiz“. In Richtung Süden geht der Blick bis zum Haarstrang, die Soester Börde und das Sauerland sind zu erahnen. Um Stromberg herum entdecken wir weite Wiesen mit Pflaumenbäumen, eine Stromberger Spezialität. In Unterstromberg wird aus der blauen Ernte Hochprozentiges gebrannt- und das schon seit 1792. Stromberg, einst wehrhafte Höhenburg der Bischöfe von Münster, mit Paulusturm, Burgmannshaus und gotischer Kreuzkirche, seit dem frühen Mittelalter Wallfahrtskirche für fromme Pilger, ist heute aufmerksamer Gastgeber. Beim „Burggrafen“ serviert der Wirt Leckeres aus Topf und Pfanne. Das süffige Landbier aus Oelde, das er serviert, treibt uns bald in die Federn.
     Sonntag. Von der Stromberger Höhe geht’s nur noch bergab. Wir haben die Qual der Wahl: Entweder radeln wir durch die lichten Buchenwälder nach Oelde, um uns nahe des Vier-Jahreszeiten-Parks noch Potts Brauerei (Kostproben garantiert!) und das Georg-Lechner-Biermuseum anzuschauen. Oder: Wir steuern mit den Rädern Richtung Nordosten über den „Werse-Radweg“ das Kulturgut Haus Nottbeck an, Museum für westfälische Literatur. Die Münsteraner wünschen sich „Annette & Co.“. Eine gute Entscheidung! Der Nachmittag wird kurzweilig und schnurrig. Kaffee und Kuchen serviert nebenan das Kulturcafe. Später treten wir wieder in die Pedalen. Keine Stunde bis zum Bahnhof Rheda. Pünktlich sitzen Judith und Philip  zufrieden im klimatisierten „Pängelanton“ der NordWestBahn. Bis Münster wird den beiden der Gesprächsstoff nicht ausgehen. Garantiert!  - Meint "Moritz".

Vivat.Westfalia! Klostergarten Rietberg

Apoll im Garten der Franziskaner

    Diese Insel des satten Grüns könnte zum Geheimtipp werden: Hier finden Verliebte lauschige Eckchen zum zarten tête à tête, hier entdeckt der Botaniker auf Suche nach Raritäten die „eschenblättrige Flügelnuss“, hier kommt der Poet ins Schwärmen, hier finden Fußmüde eine Ruhebank unterm schattigen Laubdach, hier kann der Kunstfreund den griechischen Gott Apoll persönlich treffen. Der Garten des Rietberger Franziskanerklosters steckt voller Überraschungen. Und der Eintritt kostet keinen Euro...
       Das grüne Paradies - im Stil einer englischen Parkanlage - wurde vor mehr als hundert Jahren angelegt und diente den Patres des Ordens als Ort der Kontemplation und der Ruhe in Gottes freier Natur. Stadtgraben und Ems umschließen und durchfließen das stille Refugium.
      Der Garten war jahrzehntelang sich selbst überlassen und verwildert. Nach der Sanierung wurde der Klostergarten Rietberg in die Sammlung „Neue Alte Gärten“ der Garten- und Parklandschaft Ostwestfalen-Lippe aufgenommen. Dieses Projekt verfolgt das Ziel, die historischen Garten- und Parklandschaften in Ostwestfalen im Rahmen kultureller Veranstaltungen - „Rauminszenierungen“ und „Wege durch das Land“ seien hier genannt - zu Schauplätzen von Literatur, Musik und bildender Kunst zu machen.
       Das ist vortrefflich gelungen, denn das Grün des Klostergartens ist eine ideale Bühne für außergewöhnliche Kunst: Elf überlebensgroße Skulpturen, darunter u. a. „Die Metamorphose des Apoll“, haben hier auf Dauer ihren großen Auftritt. Die Bronzen sind Arbeiten des im Rietberger Stadtteil Varensell  lebenden Künstlers, Kunsthistorikers und Buchautors („ Stilkunde der Baukunst“) Dr. Wilfried Koch. Promeniert der Besucher vom Klostergarten in Richtung Altstadt, begegnen ihm weitere markante Skulpturen  aus dem Atelier des Künstlers. Sie weisen jedem Besucher direkt den Weg zum  Rietberger Kunsthaus mit seinem architektonisch kühnen Glaswürfel als Entree. Den schönen Innenhof schmücken weitere Skulpturen, im Kunsthaus selbst wird die reiche Sammlung der Ölgemälde, der Aquarelle und Zeichnungen  des 1929 in Duisburg geborenen Künstlers Koch verwahrt und gezeigt. In Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung der Sparkasse Rietberg hat Dr. Wilfried Koch sein künstlerisches Oeuvre in die „Stiftung Hilde- und-Wilfried Koch“ eingebracht. Mit dem "Skulpturenpark Klostergarten" und dem Kunsthaus lockt Rietberg Besucher in die historische Fachwerkstadt. 

Tollkühne Kerle aus Westfalen erobern den Himmel

Flugpioniere August Euler und Josef Suwelack


Westfalen erdverbunden, erdenschwer? Na, von diesem Ballast wollen wir uns mal schnell erleichtern! Westfalen greifen mutig nach den Sternen und so mancher kernige Luftikus in spe spannt am Pfluggerät die Pferde aus, wechselt ins Fluggerät und erobert sich die Lüfte, sobald sirrende Propeller die wackligen Kisten antreiben. Tollkühne Kerle  aus Westfalen richten ihren Blick stur himmelwärts in eine luftige Zukunft.
    Mit dem ersten deutschen „Flugzeugführerschein Nr.1“ in der Tasche hebt 1910 August Euler aus Oelde ab. Er schafft bereits drei Stunden und sechs Minuten Flugzeit. Rekord! Etwa zur gleichen Zeit bastelt auch der junge Josef Suwelack aus Billerbeck an seinem Lebenstraum vom Fliegen.  Vor hundert Jahren, am 8. Dezember 1911, stellt der Pilot aus dem Münsterland einen Weltrekord im Dauerflug mit einem Passagier auf.  Suwelack hält seine Rumpler-Taube vier Stunden und 34 Minuten in der Luft. Der Aviatiker macht Schlagzeilen.
    Der junge Kaufmann August Euler (geb. am 20. November 1868) interessiert sich zunächst mehr für die blühende Fahrrad- und Autoindustrie als für jene obskuren Flugmaschinen, mit denen Otto Lilienthal und die amerikanischen Brüder Orville und Wilbur Wright abheben. Doch 1903 sattelt auch Euler um und verschreibt sich der Fliegerei. Als er 1908 die Nachbau-Lizenz der französischen Voisin-Flugmaschine erhält, gründet der Westfale in Darmstadt die „Euler-Flugmaschinen-Werke“.
    Die neue Technik veranlaßt 1909 den Deutschen Luftschiffer-Verband die Bedingungen zum Erwerb von Flugzeugführerpatenten festzulegen. Noch am Tag der Veröffentlichung, am 31. Dezember 1909, erfüllt August Euler mit zwei Platzrunden die Anforderungen. Mit Datum 1. Februar 1910 wird ihm der deutsche „Flugzeugführerschein Nr.1“ ausgestellt. 1912 hebt Euler die Deutsche Luftpost aus der Taufe. Am 10. Juni transportiert der wegen seiner gelben Bespannung Gelber Hund genannte Euler-Doppeldecker 10 000 Postkarten von Frankfurt nach Darmstadt. Dragonerleutnant Ferdinand von Hiddese steuert den Gelben Hund auf diesem historischen Jungfernflug.
    Für Josef Suwelack (geb. am 30. April 1888) fällt die Entscheidung fürs Fliegen 1909 beim Tennisspiel in Billerbeck. „Was die können, das kann ich auch!“ kommentiert er Sportfreunden gegenüber die Schlagzeilen der Brüder Wright. Aus Bambusstäben entsteht in der Billerbecker Schreinerwerkstatt Kleideiter ein Gleitflugzeug. Der Apparat wird über eine mit Seife präparierte Holzschiene in den Himmel katapultiert. Zwei Pferde sind vorgespannt, und das Gerät macht einen kleinen Sprung: „He flögg, he flögg!“ – Westfalen sind durch und durch Optimisten.
   Es folgen Versuche auf der Loddenheide in Münster, dann auf dem Flugplatz Johannisthal bei Berlin. Die Presse notiert: „Mit dem Eindecker ist er dreimal eine Runde von 15 bis 20 Minuten geflogen“. Ostern 1911: „Billerbecker Flugtage“, der ganze Ort ist auf den Beinen, doch die Flüge fallen ins Wasser, Sturm, Unwetter, technische Schwierigkeiten. Josef Suwelack, inzwischen mit dem bekannten Hersteller Rumpler liiert, legt am 2. August 1911 die Pilotenprüfung ab, seine Lizenz trägt die Nr. 102. Der stolze Vater in Billerbeck mahnt: “Verrichte immer ein Gebet vor dem Flug!“
1912 kauft sich der 24jährige Suwelack mit 10 000 Goldmark als Gesellschafter bei den Kondor-Werken in Essen ein. 1913 wird der erste Kondor fertiggestellt, ausgerüstet mit einem 95-PS-Mercedes-Motor. Es geht über den Ärmelkanal nach London, der mutige Pilot erreicht – damals unglaublich –  2 160 Meter Höhe. Als Deutschland den Krieg gegen Frankreich vorbereitet, wird die Kondor-Maschine in Essen als „kriegswichtiges Gut“ durch die Heeresverwaltung beschlagnahmt. Suwelack meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst, der junge Pilot wird 1914 mit dem Offiziers-Fliegerabzeichen und dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.  Am 13. September 1915 stirbt Josef Suwelack  „in Folge eines schweren Luftkampfes mit englischen Fliegern“ an der französischen Front. Er wurde nur 27 Jahre und viereinhalb Monate alt.

      




"Sibirien Europas"

"Provinz Westfalen":
Mit Gründung der Provinz, die den Preußen beim Wiener Kongress 1815/16 zugesprochen wurde, ergab sich eine weitestgehende Deckung der politischen Einheit mit dem heutigen Gebiet Westfalen. Die Preußen sollen in ihrer neuen Provinz zunächst das "Sibirien Europas" gesehen haben, denn es galt kulturlos und rückständig. Das ist natürlich der Schnee von gestern.