Westfalen blüht!

03.06.2012

Vivat.Westfalia! Pedalritter!



Pängelanton, Pedaleure und eine Prinzessin

       Am Himmel führt Petrus Regie. Ganz unverfroren treibt er seinen Schabernack, verwandelt über Nacht ein sonniges Hoch in ein atlantisches Tief mit Schwerpunkt über Island. Grandioses Wolkentheater vor weitem Horizont. Es meimelt, schauerweise. Doch abgemacht ist abgemacht. „Nein, in Münster regnet es nicht, wir kommen!“ Judith freut sich und Philips Stimme duldet keinen Widerspruch. Wir treffen uns am Bahnhof in Rheda. Von hier aus wollen wir per Fahrrad über die „LGS Route“ (Landesgartenschau-Route) in ein abwechslungsreiches Wochenende starten. Versprochen werden Fachwerk-Idylle, ein Schloß, eine Höhenburg, ein Literatur- und ein Biermuseum. Appetit aber holen wir uns zunächst in  Rheda-Wiedenbrück (druckfrisch hat Altstadtführer Paul Breimann in einem kleinen Bändchen auf 90 Seiten alles Wissenswerte über die Altstadt von Wiedenbrück zusammengetragen,  9,90 Euro im Buchhandel), dann geht es weiter nach Rietberg und Oelde.
       Preisfrage vorweg: wie kommt  der Münsteraner am bequemsten aufs Land? Ganz einfach, er packt die Leeze in den „Pängelanton“ und schon geht’s los. Pardon, das war früher. Der Pängelanton ist ganz schön schnell geworden und heißt jetzt NordWestBahn. Kurz nach sieben startet der erste Dieseltriebwagen, „Der Warendorfer“, an Münsters Hauptbahnhof und fährt dann im Stundentakt über Telgte, Raestrup-Everswinkel, Warendorf, Vohren, Beelen, Clarholz, Herzebrock nach Rheda-Wiedenbrück. Immer entlang der Bundesstrasse 64, so flott ist kein Radfahrer, selbst Pkw müssen da schon ganz schön Gas geben, um mithalten zu können. In der NordWestBahn zieht man Fahrkarten an Automaten in den Zügen. Das ist praktisch, denn man kann zunächst in aller Ruhe einsteigen. Überall Platz satt für Fahrräder und Pedalritter. Ja, die blau-gelben Triebwagen bringen Radfahrer flott an den Start zu den schönsten Westfalen-Touren.
          Ein Wochenende mit leichtem Gepäck, in den Packtaschen nur das Nötigste: eine Radwanderkarte von Ostwestfalen, dazu Regenschutz, Zahnbürste und Zaster. Der Rosengarten der „Flora Westfalica“ , nur wenige hundert Meter vom Bahnhof Rheda entfernt, ist ein idealer Ort, um in die schöne Route einzusteigen. Ab hier folgen wir  einfach der gut markierten „Wellness-Route“ durch die „Flora Westfalica“ in Richtung Rietberg, Delbrück, Paderborn. Doch langsam! Zunächst machen wir dem Fürstenhaus Bentheim-Tecklenburg unsere Aufwartung. Schloß Rheda, ein Kleinod im schönen Park,  lockt mit einer Orangerie und einem hübschen Hoftheater. Besucher sollten Rücksicht nehmen, die Hauptburg wird „Privat bewohnt“! Bitte nicht stören! Im fürstlichen Ambiente des traditionsreichen Ortes, residieren Maximilian Erbprinz zu Bentheim-Tecklenburg nebst Gattin Prinzessin Marissa.
       Über das alte Kopfsteinpflaster des Steinwegs rumpeln die Räder bis wir links in Richtung Erlenbruch einbiegen. Eine gute halbe Stunde nur dauert die Fahrt durch das "Flora"-gelände bis in den Ortsteil Wiedenbrück. Auch hier wieder viel schwarz-weißes Fachwerk  mit farbig gefassten Schnitzereien wohin das Auge blickt. Verwinkelt, gemütlich und malerisch.
        Pedalritter Philip aus Münster hängt der Magen durch und er wünscht sich: „So’n chans, chans delikates Pastorenschnittken mit hausgemachtem westfälischen Schinken...!“ Soll er haben, und ganz herzhaft sind wir mit von der Partie, auch uns knurrt der Magen. Der „Ratskeller“ in der 1000jährigen Stadt Wiedenbrück hat alles zu bieten, was den westfälischen Gaumen kitzelt.
     In einer guten Stunde wollen wir in Rietberg sein. Klappt auch, wenn wir etwas flotter in die Pedale treten. Wir bleiben auf der „Wellness-Route“ (oder der „LGS-Route“, die hier identisch sind), folgen der Umflut am Rand der Stadt und  später der träge dahinfließenden Ems. Das Mittagsbier sitzt zwar noch in den Beinen, doch das flache Land lässt die Räder flott rollen. Bis zur Kaffepause. Kurz vor Rietberg, „nur ein Schlückchen Kaffee“ könnte Judith wieder munter machen. Es wird Kaffee und Himmelstorte für alle.
         Rietberg. Auch hier gepflegtes Fachwerk, Tradition und viel  internationale Geschichte. Das Städtchen war Mittelpunkt der gleichnamigen Grafschaft, seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Grafen von Arnsberg. 1699 fiel die Herrschaft an die Familie von Kaunitz, aus der Graf Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711-1794), der berühmte Kanzler der österreichischen Kaiserin Maria Theresia stammt. Vor glanzvoller historischer Kulisse lässt Rietberg im bunten Rahmen der Landesgartenschau üppige Blütenträume wachsen. Bis zum 12. Oktober lädt „Rieti“, der Siebenpunkt-Marienkäfer, alle Gartenfreunde zur grünen NRW-Olympiade ein. Also Fahrrad einparken und zu Fuß durch den Garten Eden. Doch es gibt auch ein Kontrastprogramm: beim Italiener an der Emsbrücke, im Eiscafe "Dolomiti" darf man kühle Eisberge weglöffeln, man kann das Wohnhaus des Rietberger Hofmalers Philip Ferdinand Ludwig Bartscher (1749-1823) an der Müntestrasse oder das neue Rietberger Kunsthaus mit Zeichnungen, Malerei und Skulpturen von Dr. Wilfried Koch besuchen.
      „Rechts ab!“ Am späteren Nachmittag verlassen wir die „Wellness-Route“, folgen jetzt, immer Richtung Westen, der Markierung R2,  über Appelbaumchausseen, Wald- und Wirtschaftswege, an Bokel und Langenberg vorbei, mit Ziel Stromberg. In Langenberg wird die Privatbrauerei Hohenfelde zur Versuchung. 1845 gründete der königlich preußische Amtmann K.H. Lappmann die Brauerei auf dem Gut Hohenfelde. Klaudia probiert „Lappmanns Dunkel“, ein Schwarzbier, Philip und ich zischen ein „Hohenfelder Pilsener“. Doch Vorsicht! Bier geht in die Waden – die Erfahrung haben wir bereits gemacht - und wir wollen ja  noch Stromberg im Kreis Warendorf erreichen. Schaffen wir auch. Kurz vor dem Ziel noch als Herausforderung der Stromberger Knapp, und vom Westen bläst uns bereits der sprichwörtliche „Oelder Wind“ entgegen. Die Aussicht von der Stromberger Höhe entschädigt für alle Anstrengungen. Die sanften Hügel vor uns, die fruchtbaren Felder, die löwenzahngelb gesprenkelten Wiesen heißen hier „Stromberger Schweiz“. In Richtung Süden geht der Blick bis zum Haarstrang, die Soester Börde und das Sauerland sind zu erahnen. Um Stromberg herum entdecken wir weite Wiesen mit Pflaumenbäumen, eine Stromberger Spezialität. In Unterstromberg wird aus der blauen Ernte Hochprozentiges gebrannt- und das schon seit 1792. Stromberg, einst wehrhafte Höhenburg der Bischöfe von Münster, mit Paulusturm, Burgmannshaus und gotischer Kreuzkirche, seit dem frühen Mittelalter Wallfahrtskirche für fromme Pilger, ist heute aufmerksamer Gastgeber. Beim „Burggrafen“ serviert der Wirt Leckeres aus Topf und Pfanne. Das süffige Landbier aus Oelde, das er serviert, treibt uns bald in die Federn.
     Sonntag. Von der Stromberger Höhe geht’s nur noch bergab. Wir haben die Qual der Wahl: Entweder radeln wir durch die lichten Buchenwälder nach Oelde, um uns nahe des Vier-Jahreszeiten-Parks noch Potts Brauerei (Kostproben garantiert!) und das Georg-Lechner-Biermuseum anzuschauen. Oder: Wir steuern mit den Rädern Richtung Nordosten über den „Werse-Radweg“ das Kulturgut Haus Nottbeck an, Museum für westfälische Literatur. Die Münsteraner wünschen sich „Annette & Co.“. Eine gute Entscheidung! Der Nachmittag wird kurzweilig und schnurrig. Kaffee und Kuchen serviert nebenan das Kulturcafe. Später treten wir wieder in die Pedalen. Keine Stunde bis zum Bahnhof Rheda. Pünktlich sitzen Judith und Philip  zufrieden im klimatisierten „Pängelanton“ der NordWestBahn. Bis Münster wird den beiden der Gesprächsstoff nicht ausgehen. Garantiert!  - Meint "Moritz".

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"Sibirien Europas"

"Provinz Westfalen":
Mit Gründung der Provinz, die den Preußen beim Wiener Kongress 1815/16 zugesprochen wurde, ergab sich eine weitestgehende Deckung der politischen Einheit mit dem heutigen Gebiet Westfalen. Die Preußen sollen in ihrer neuen Provinz zunächst das "Sibirien Europas" gesehen haben, denn es galt kulturlos und rückständig. Das ist natürlich der Schnee von gestern.